EU-Projekt:
Bürger aus den Benelux-Staaten
als NS-Verfolgte im Zuchthaus Hameln 1942-1945
 

Die Interviews

Interview zu Sef van Megen
mit Hay Reintjes in Broekhuizen am 26. April 2013

 

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Bernhard Gelderblom beim Interview mit Hay Reintjes

Hay Reintjes zeigt Fotos

Ich hab von ihm Unterricht bekommen. Er hatte die 4. und 5. Klasse unterrichtet. So hab ich auch von ihm noch Unterricht gehabt.
Das ist bei einer Firmung in der Kirche.
September 1946 in Englisch: Er (= Lambert Meijers) bekommt die Genehmigung, die Leichname von zwei holländischen Piloten mitzunehmen (Das war auch eine Lüge), sie an der Grabstelle in Dohnsen zu bergen und nach Holland zu überführen. Das ist ein offizielles Dokument. Der Landrat in Holzminden hat das unterschrieben.

„Es wird hiermit bestätigt, dass Josef van Megen, Broekhuizen, und L. Franzen, Dordrecht, hier ausgegraben werden und nach Holland zu überführt werden dürfen.“

Das war eigentlich illegal.

Das war eigentlich illegal. Aber da war dabei ein Paul Gullikers, der kam von Sittard 50 km von hier (Stadt in Süd-Limburg, d. Verf.), der hat das überlebt, der wusste noch genau, in welchem Dorf das damals war. Der war bei der Identifizierung dabei. Das sind die originalen Bilder davon.

[Paul Gulikers, offenkundig ein Limburger Widerstandskämpfer, war ebenfalls in Kamp Haaren und war wie van Megen, Mathijssen und andere über das Zuchthaus Lüttringhausen am 2.11.1944 in das Zuchthaus Hameln gekommen, hatte sodann den Todesmarsch nach Holzen mitmachen müssen.
Wird bei Derk Schortinghuis zusammen mit Harry Tobben als „Krankenpfleger“ von Jan Derks genannt.]

Sie (= die französischen Kriegsgefangenen) wurden hier mit der Fähre über die Maas gebracht und dann weiter mit dem Fahrrad nach Sevenum (= liegt auf dem Weg Richtung Nederweert-Belgien) gebracht. Die Fotos, die sie bei sich hatten, die mochten sie nicht mit sich nehmen, damit sie nicht, falls sie gefasst würden, identifiziert werden könnten, und haben sie hier gelassen. Davon gibt es ein ganzes Album.

Das war eine Route, die von hier nach Nederweert Richtung Belgien und von dort Richtung Frankreich führte. Das war hier die erste Stelle in den Niederlanden. Hier haben sie Kleider bekommen. Die Fotos, die sich bei sich hatten, die mussten sie hier lagern. Sonst war das zu gefährlich.

Waren das Franzosen aus bestimmten Lagern?

Ja, sicher, die kamen von bestimmten Lagern. Nicht so weit von der Grenze entfernt. Alle beieinander sind das 100 Fotos. Zum Teil Fotos aus den Lagern, z.T. von den Heimatfamilien.

Stalag XII A steht hier auf der Rückseite.
Wie weit war der Weg, den sie in Deutschland zurückgelegt hatten? Das wäre interessant zu wissen?

Aber ganz wenige Adressen finden wir darauf. Ich hab so 5-6 Adressen gefunden. Da hab ich auch hingeschrieben. Da hab ich von der Gemeinde Bericht empfangen, dass sie von dort sind, normal gelebt hatten, und solche Geschichten.

Wie viele Personen waren das so ungefähr, denen er geholfen hat?

Diese Franzosen, das geht so um 50-100 Personen.
Das war eine feste Route. Wir – mein Großvater – wohnten da nebenan. Wir haben da oftmals verschiedene Sachen gefunden, von französischen Soldaten. Auch die Kleider haben sie dort gelassen. Die haben wir dann vorsichtig weggebracht.

In welchem Zeitraum war das?

August 43 wurde er mitgenommen. Ungefähr 42 und 43, diese beiden Jahre.

Können Sie ein wenig über seine Motive, seine Gründe sagen, weshalb er den Deutschen Widerstand geleistet hat?

Zuerst war da der damalige Pastor im Dorf, Pastor van Doorn, der leider Ende 42 gestorben ist. Er war ein sehr guter Bekannter von Sef. Der Pastor hat sich einen Namen gemacht beim Einfall der Deutschen am 10. Mai 1941. Er hat damals die Soldaten betreut, die mit der Verteidigung der Maas betraut worden waren.
Aber die meiste Inspiration hat er empfangen, als er seine Ausbildung als Lehrer machte, als er drei-vier Monate in Koninglust nördlich von Helden (südwestlich von Venlo, d. Verf.) war. Der Pastor war dort Pastor Vullings in Narding (? muss im Raum Helden liegen). Vullings wird nachher Pastor in Grubbenvorst (an der Maas, südl. von Broekhuizen bzw. nördlich von Venlo, d. Verf.). Der war ein richtiger Widerstandsmann, der wurde auch (= von den Deutschen) mitgenommen und ist im KZ Neuengamme gestorben. Er war der Inspirator von meinem Onkel.
Ich kann mich noch an Diskussionen erinnern. Eine der Schwestern meines Großvaters war nach Walbeck in Deutschland gleich hinter der Grenze verheiratet. Von meinem Schlafzimmer aus sieht man den Kirchturm von Walbeck. Der hat vier Söhne, meine Neffen. Davon sind drei Soldaten geworden, und sind alle gefallen, zwei in Russland und einer in Holland. Die waren auch gegen alles, was mit den Nazis zu tun hatte, aber die mussten in den Krieg, während wir, 5 km weit weg, das nicht mussten. Was ist das doch für ein Zufall, nur abhängig davon, ob man westlich oder östlich der Grenze wohnte!
Zuerst wurde er gefragt, das illegale Blatt „Für die Freiheit“ zu machen. Damit hat das angefangen. Aber sein Widerstand hat vor allem damit zu tun, dass er Leuten helfen wollte. Speziell Juden, da hat mein Onkel sich weniger mit beschäftigt, viel mehr mit englischen Piloten, die weg mussten, aber am meisten mit französischen Kriegsgefangenen, die 42/43 noch einfach weglaufen konnten. Dann hatten die hier eine Route Richtung Belgien, Frankreich.

Und wie sah die Hilfe für die Kriegsgefangenen ganz konkret aus?

Dass sie hier an der Fähre in Broekhuizen übergesetzt werden konnten. Der Fährmann hatte da ein Boot liegen. Mein Onkel war oft dabei. Auch der Sohn des Fährmanns. Die Tochter des Fährmanns war verlobt mit Sef van Megen, die Beziehung war ganz nah, und dann kamen die hierher, und dann wenn so 3,4,5 zusammen waren, dann wurden die mit dem Fahrrad nach Sevenum gebracht, das ist so 12-13 km weit weg. Von dort nach Nederweert. So in insgesamt fünf Etappen durch Südlimburg. Dann wurden sie von Belgien übernommen.

Und die haben hier auch übernachtet?

Ja sicher, übernachtet haben die hier. In Loovendaal (Loovendaal liegt südlich von Broekhuizen, kurz vor Grubbenvorst) auf dem Bauernhof. Die gingen ganz früh weiter. Die haben auf dem Bauernhof übernachtet. Im Heu fanden wir bei meinem Großvater dann Sachen, die wir eigentlich nicht finden sollten, einmal einen riesigen Fallschirm von einem englischen Piloten.

Holt Fotos vom Bauernhof.

Das ist der Loovenhof. Der Teil ist vor einigen Jahren abgebrochen. Davon wurde ein Wohnhaus gemacht. Dort kommt Sef her. Wir kommen dort nachher noch vorbei.

Zeigt ein Foto, das 1922 vom Hof gemacht wurde.

Ein Bruder ist Missionar geworden in Brasilien; der ist mit 35 Jahren dahin gegangen. Sef war der Jüngste.
Die kleine Zeitschrift „Für die Freiheit“. In den drei Gemeinden hier beieinander gab es eine kleine Gruppe von Leuten im Geheimen, die hatten sich verbunden, die haben dieses Blatt fertig gemacht, ganz wenige Exemplare. Juni 43, ein halbes Jahr vor der Festnahme, da wurde das erste Heft gemacht. 29. Juli 43, am Geburtstag von Prinz Bernhard, da ist das erste Heft erschienen. Am 29. August sollte die 3. Nummer erscheinen. Das war genau der Tag, als man die Leute gefangen genommen hat. So hat man nur drei Exemplare herausgebracht.

Hatte Sef Kontakt zu Widerstandskämpfern außerhalb von Limburg?

Ja, das war das Schlimme. Sef war eigentlich der Kontaktmann für Nordlimburg. Und als man dann in Weert (südwestlich von Venlo bzw. westlich von Roermond, kurz vor der belgischen Grenze) Anfang 44 … in den Griff bekommen hat, dann wurden ungefähr 40-50 Leute gefangen genommen. Und da hat man eine Liste gefunden, und auf der Liste war auch sein Name.

Waren sie professionelle Widerstandskämpfer? Oder ein bisschen Amateure?

Ja, da waren einige, die in diese Organisation eingedrungen waren. Eigentlich wurde das damals von den Pfarrern getragen. Diese Festnahme in Weert, das war ein Schlag für die ganze Illegalität hier in Limburg. Da wurden verschiedene Kaplane und Pfarrer mitgenommen.

War er sich der Gefahr bewusst?

Nein, richtig nicht.

Wie hat eigentlich die Familie die Verhaftung erlebt?

Schrecklich, schrecklich. Eine Bauernfamilie, der einzige Sohn, der studiert hat (der Älteste auch) und der einen guten Namen hatte. Der war hier in der Fußballmannschaft, er war der einzige Lehrer, der in Broekhuizen wohnte, sonst waren alle von Broekhuizenvorst. Der war von allen respektiert. Das war schrecklich, wie der mitgenommen wurde. Am gleichen Tag sind noch zwei vom Kasteel-Bauernhof (nördlich von Broekhuizen, d. Verf.) mitgenommen worden, die haben das aber über lebt. Am Anfang hatte Sef noch Kontakt zu seinem älteren Bruder, Kaspar van Megen, aber nachher war das unmöglich, wie er in Lüttringhausen war.

Wusste man, wo er ist? Er war ja NN!

Nachher wussten wir nicht, wo er war. Vorher, als er in Siegburg war, das war bekannt. Dass er in Hameln war, das wusste niemand.

Wann hat man davon erfahren?

Als die beiden zurückkamen, die in Lüttringhausen geblieben waren. Und Gullikers, als er zurückkam, er hat sich sofort beim Vater von Sef gemeldet. Der hat erzählt, dass er unterwegs erschossen wurde und in dem Dorf begraben wurde. Das war eigentlich schnell bekannt. Aber man wusste noch nicht, ob es die Wahrheit ist. Und Leute wie Lambert Meijers, Gullikers und andere, die haben sich eingesetzt mit Erfolg dafür, dass er 46 hierher zurück kam.

Die Beerdigung war ein großes Ereignis?

Das war ein großes Ereignis. Und auch dieses Kreuz (= auf dem Grab), das wir gleich zu sehen bekommen, das ist durch die Kollegen, die es überlebt hatten, ganz spontan gemacht worden.

Und danach in der Familie spielte das immer eine Rolle?

Ja, natürlich. In einer kleinen Ortschaft, da gibt es noch eine kleine St. Josef-Kapelle. Da ist eine Plakette drin, da steht sein Name drauf. Da sind diese drei Männer erwähnt, die aus dieser Ortschaft umgekommen sind, zwei als Militärs und Sef als Illegaler.
Das hat immer gelebt, und so ist die kleine Plakette erst vor 5-7 Jahren in dere Kapelle angebracht worden. Ich hab noch letztes Jahr beim Gedenktag zum 4. Mai davon erzählt. Letztes Jahr hatte ich Sef, dieses Jahr hatte ich die vier Leute aus Ooijen (nördlich von Broekhuizen, d. Verf.) die erschossen wurden.
Das nennen wir das Drama von Ooijen. Da wurden alle vier mitgenommen in den letzten Kriegsmonaten. Damals nahmen sie den Bauern das ganze Vieh weg und trieben es über die Straße bei Broekhuizen-Forst und da war ein Mann von 87 Jahren, der kam aus dem Haus heraus und hatte eine 200 Jahre alte Pistole und die hielt er den Soldaten so unter die Nase, die sollten die Kühe loslassen. Die Soldaten liefen einfach weiter. Die haben das aber gemeldet, und da sind sie von Venlo gekommen und alle Leute, die sie auf der Straße fanden, alle neun, die haben sie mitgenommen. Von acht haben sie vier in Venlo zum Tode verurteilt (einer war weggelaufen). Vier, deren Papiere nicht in Ordnung waren (zwei mussten zum Arbeitsdienst in Deutschland sein und ein Untertaucher und der alte Mann), die haben sie zurückgebracht nach Ooijen, haben sie auf die Wiese gestellt und in den Rücken geschossen und liegen lassen. Das ist das Drama von Ooijen. Das erzähl ich auch am 4. Mai.

Zuständig war die Polizei von Venlo?

Das Gebiet hatte offiziell von Düsseldorf aus den Status eines „Raubgebietes“. … Das war das ganze Nordlimburg.

Am Mahnmal von Broekhuizen mit den Namen der Widerstandskämpfer und den von den Deutschen erschossenen englischen Soldaten

Da waren zur Verteidigung nur zwölf deutsche Soldaten. Die haben die Engländer herankommen lassen auf 40 Meter und haben sie dann erschossen, 45 Mann. Einer, der überlebt hat, der ist zurückgekommen, und mit dem zusammen haben wir das Mahnmal 1995 eingeweiht. Jeder einzelne Name wurde durch einen Einwohner adoptiert und bezahlt.
Am 4. Mai nimmt die Feier hier ihren Anfang. Dann werden alle Namen vorgelesen. Ich war damals der Vorsitzende, der das organisiert hat.

Am Grab von Sef auf dem Friedhof von Broekhuizen

Die Umbettung war im Frühjahr 46. 1953 wurde das Kreuz aufgestellt. Von Kollegen und Freunden. Da liegen die Mitglieder der Familie und meine Brüder.

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