Die Interviews

Johannes Allers und Jan v. d. Hout
Sef van Megen
Ortar De Pauw
Marius Jonker Roelants
Familie Schaeger
Gustave Vandepitte

EU-Projekt:
Bürger aus den Benelux-Staaten
als NS-Verfolgte im Zuchthaus Hameln 1942-1945
 

Die Interviews

Interview mit Emmy van den Hout-Allers und ihrer Tochter Carla van den Hout
über das Schicksal ihres Vaters Johannes Allers,
ihres Ehemanns Jan van den Hout und
über ihr eigenes Schicksal
 
in der Wohnung von Carla van den Hout, ihrer Tochter, in Den Haag am 28. April 2013

 

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Bernhard Gelderblom beim Interview mit Emmy van den Hout

Emmy van den Hout war zur Zeit des Interviews 101 Jahre alt.

 

Jetzt wird es schwer mit meinem Deutsch. Lesen ist für mich leichter als sprechen.

Wir sind nach Holland gekommen, um Interviews zu machen. In Hameln waren über 2000 Häftlinge aus den Benelux-Ländern. Ihr Vater war sehr früh in Hameln. Die meisten Holländer erst 1944. Was für ein Mensch war er?

Als Offizier war er sehr streng. Er hatte vier Töchter. Aber sie lachten auch. Meine Mutter wollte nicht kommandiert werden. Er war Militär, im Kriegsministerium, bei der Abwehr. Er war bei der Gegenspionage. Er hat davon zu Hause nichts erzählt.
Er wurde deportiert nach Deutschland, als ob er Jude wäre.

Tochter Carla: Deshalb ist Lodo von Hameln hierhergekommen, zu ihm. Mein Vater war gerade pensioniert worden.

Deswegen wurden mein Vater und ich zum Verhör mitgenommen. Ich arbeitete beim Wasserministerium. Als ich am Samstag im Gefängnis war, dachte ich, ich werde am Montag im Büro erzählen können, dass ich im Gefängnis war. Aber es sollte noch sechs Monate dauern, bis ich das erzählen konnte.

Lodo von Hamel, kannte er ihren Vater?

Nein, es ist über einen Freund von Lodo gelaufen. Der wusste, dass sein Schwiegersohn Jan, mein Verlobter, Funker war.

Hat ihr Vater sich überreden lassen?

Mein Verlobter (Jan) war im Zimmer, als er zu Besuch war. Mein Vater hat gesagt, das kann ich. Er hat nicht auf seinen Schwiegersohn gewiesen. Mein Vater hat es auf sich genommen.

Wie lange hat ihr Vater das gemacht?

Mein Vater hat von Ende August bis Ende Oktober 1940 gesendet. Tag und Nacht. Normalerweise haben sie die Texte verschlüsselt. Aber manchmal haben sie das auf Holländisch gemacht, weil die Zeit drängte. Das war sehr gefährlich. So konnten die Deutschen das gleich lesen.

Woher kamen die Informationen, die Sie gesendet haben.

Ich weiß nicht, wer das alles gesammelt hat. Einmal, ich war schon aus dem Gefängnis raus, da fand ich auf der Matte einen Zettel, da stand etwas von einem Bombenangriff.
Da bin ich zu dem Hauptinspektor gegangen und habe ihm den Zettel gegeben.
Wir wussten nicht, woher die Informationen kamen. Sie kamen von allen Seiten. Jemand hat das abgegeben. Es gab alle Arten von Informationen.

Sie können sich an die Verhaftung erinnern?

Sie wissen es.

Aber sie sollen es erzählen.

Ich dachte, gleich komme ich zurück. Ich hatte keine Kleider mitgenommen. Es war Winter. Der Mann, der mich verhaftet hat, ist (wegen der Glätte) hingeflogen, seine Mütze flog durch die Luft. Ich musste so schrecklich lachen. Als wir drin waren, sollten wir alles abgeben, was wir dabei hatten. Dann sollte ich in die Zelle, da war ein Klappbett, ein Strohsack, ein Tischchen. Das war zu Anfang. Das war besser als später in den Zellenbaracken. Da war noch ein Mädchen, das auch verhaftet war; das saß schon lange.

Carla: Du hast eine Liste gemacht, mit allen, die mit Dir in der Zelle saßen.

Wir mussten die Zelle sauber machen, mit Eimer und Schrubber. Später kam ich zufällig wieder mit ihr auf eine Zelle.
In den Zellenbaracken, da gab es kein WC, sondern einen Kübel mit Deckel drauf. Wenn sie Pang, Pang, Pang machten, dann mussten wir die Kübel rausstellen. Neben mir eine Gräfin. Sie sagte, ich mache den Kübel nicht raus. Immer wollte sie was Extras. Ich ging zur Gräfin. Sie war auf dem Strohsack liegen geblieben, hatte noch keine Kleider an. Ich sagte zu ihr, heute setze ich Ihren Kübel raus. Aber morgen nicht mehr. Sie musste es tun. Im Gefängnis sind wir gleich.

Tochter Carla: Du hast eine Übersicht über Deine Verhaftung gemacht, einige Blätter, wo du alles genau aufgeschrieben hast. Du kamst von der Arbeit nach Hause, sahst ein deutsches Auto vor der Tür, …

Ich wollte erst weglaufen. Aber meine Eltern waren zu Hause. Ich wollte in die kleine Kammer gehen und von dort aus heimlich zuhören. Aber sie haben mich gehört. Sie sagten, ich sollte mitgehen. Mein Vater nahm alles auf sich, um meinen Verlobten zu schützen.
Man hat einen Brief im Koffer von Hamel gefunden, als er zurückgehen wollte nach England. Auf dem Brief stand der Name Allers. So kamen sie auf Allers in der Perponcherstraat in Den Haag.

Beim Kriegsgericht im Feldgau Holland saßen die Richter unten, ich saß oben. Im Prozess waren wir drei angeklagt und außerdem die, die nach England gehen wollten.

Carla: Lodo wurde als erster verhaftet. Dann Emmy und ihr Vater, zwei drei Tage später mein Vater Jan mit ihrer Schwester zusammen. Jan hatte einen zweiten Sender besorgt. Unter der Treppe hatten sie den zweiten Sender versteckt. Die Schwester wurde auch verhaftet, hat aber nur eine kurze Strafe bekommen.
Der erste Sender, den Vater hatte, der ist nicht gefunden worden. Der ist versteckt worden.

Ist Ihr Vater beim Verhör geschlagen worden oder ihr Verlobter?

Carla: Nein, aber Lodo. Lodo hat die Namen verraten. Was würde ich tun, wenn ich geprügelt werde? Meine Mutter ist später auch verhört worden. Aber sie sagte sehr wenig.

Ihr Vater hat 10 Jahre bekommen, ihr Verlobter lebenslang und Sie ein halbes Jahr.

Ich saß schon 5 Monate, als das Urteil fiel, und konnte schon bald raus.
Ich habe dann zweimal an Rauter geschrieben. Ob mein Verlobter … . Ich erhielt freundliche Briefe von Rauter. Rauter: Sie sollten glücklich sein, dass Ihr Freund noch lebt. Jan war damals im Krankenhaus im Zuchthaus Waldheim.
(Sie spricht holländisch.)

Es sind schrecklich harte Strafen, die ihr Freund und ihr Vater bekommen haben. Wie war das für Sie und Ihre Mutter?

Meine Mutter durfte mich besuchen. Aber wir waren getrennt; ich konnte sie nicht küssen. Vor dem Prozess kam die Frau, die für die Kübel zuständig war, wir nannten sie Adele. Sie sagte mir, wenn einer in die Zelle kommt, dann sollen wir aufstehen. Da lagen wir auf Strohsäcken. Ich lag dort am längsten. Es war klein, ich musste meine Beine einziehen.

Carla: Sie erzählt, als sei es gestern gewesen!

Es gibt ein Foto, da werden sie entlassen. Da steht eine große Gruppe von Frauen und Sie stehen in der Mitte. Wer sind alle diese Frauen?

Sie sind alle gleichzeitig mit mir entlassen worden.

Als Sie entlassen wurden, kamen Ihr Vater und Verlobter nach Münster.

Das war schon vorher, als ich noch saß. Der Leiter des Gefängnisses kam in meine Zelle und sagte: Das Zuchthaus in Münster ist bombardiert worden; aber die Niederländer sind nicht verletzt. Sie haben gut mitgeholfen, die Verletzten zu bergen.

Hatten Sie die Möglichkeit, Briefe zu schreiben nach Münster?

Ja, wir konnten Briefe schreiben an Vater und Jan, aber erst später. Wir bekamen Bücher zum Lesen und zum Sprachenlernen.
Wir hätten sie besuchen können. Aber Jan schrieb, es ist nach Brual-Rhede noch 15 km zu Fuß zu gehen und es ist schrecklich zu sehen.

Zitiert den Brief des Feldgerichts an die Mutter: Besuchserlaubnis wird nicht erteilt und kann auch in Zukunft nicht erteilt werden.

Haben Sie noch Briefe aus Münster oder Brual-Rhede? In der Akte liegen von der Zensur einbehaltene Briefe. Er konnte also schreiben.

Ja. (Spricht holländisch.)

Und ihr Vater ist dann nach Hameln gekommen. Haben sie aus Hameln auch Briefe bekommen?

Ja, ich glaube.

Und er ist er dann in Hameln gestorben.

Jan ist in Waldheim gewesen. Da hatte man keine Medizin; er war fast tot.

Wie haben sie erfahren, dass Ihr Vater gestorben ist?

„Er ist an Herzleiden gestorben.“ Ein Satz. Mehr nicht. Meine Mutter wusste es noch nicht. Dann haben wir es ihr erzählt. Sie ist ohnmächtig geworden.

Hat Jan gewusst, dass Ihr Vater gestorben ist?

Ja, wir haben das geschrieben.

Wann ist Ihr Verlobter zurückgekommen?

Er war am Ende des Krieges im Zuchthaus Waldheim sehr krank und musste in ein Sanatorium. Er musste allein aus Waldheim zurückkommen. Alle anderen waren schon weg. An der Grenze war es sehr gefährlich. Er hat zuerst gewartet, um den Wechsel der Wachen zu sehen. Er hat die Wachen abgepasst und ist dann hinübergelaufen. Er hat nicht viel erzählt, aber das.
Als er nach Holland kam, durfte er erst nicht nach Hause. Sie suchten einen Mann mit seinem Namen. Er musste erst das Rote Kreuz fragen.

Wann ist er nach Hause gekommen?

Mit dem Zug. Er sagte, ich schlief stehend im Zug, so eng war es. Er hat unterwegs Kleider bekommen. Sehr spät. Erst war er nicht transportfähig, weil er Tuberkulose hatte.
An der holländischen Grenze musste er zwei Tage warten, weil sie dachten, dass er ein NSB-Mann wäre, mit demselben Namen.
Er hat erst einen Freund geschickt, der schauen sollte, ob ich noch lebe. Er ging erst zu mir, dann zu seinen Eltern in Brabant.

Haben Sie das Grab Ihres Vaters besucht?

Wir sind einmal in Hannover gewesen und haben dort das Grab gesehen. Die jüngste Schwester hat das Grab noch am Friedhof Wehl in Hameln gesehen. Sie hat schrecklich geweint.

Hat Ihre Mutter eine Pension bekommen?

Ja.

Hat ihr Vater eine Ehrung bekommen?

Ja, das liegt in der Schublade. Das kam posthum. Jan auch.

Haben Sie nach dem Tod Ihres Vaters aus Hameln noch eine Nachricht über die Bestattung bekommen?

Da ist sie. Über die Umbettung nach Hannover haben wir auch eine Nachricht bekommen. Das hat die Oorlogstiftung gemacht.

Ja, schönen Dank!

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